Tagung »Der Ländliche Raum – Vielfalt erleben.«

Am 3. Februar 2014 fand man kaum Parkplätze im engeren und weiteren Umfeld der Stadthalle von Limbach-Oberfrohna. Etwa 700 Gäste waren auf Einladung der Sächsischen Staatskanzlei erschienen. Der Titel lautete: »Der Ländliche Raum – Vielfalt erleben.«

Der zuständige Staatsminister für Landwirtschaft und Umwelt Frank Kupfer eröff nete die Veranstaltung und gab das Wort dann an eine Fernsehmoderatorin ab. Diese kündigte den Sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zu einem Statement an.

Der Sächsische Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich hob die Einrichtung einer Förderinstanz für den »Ländlichen Raum«, die Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) hervor. Die »Regionen« könnten hier selbst über die Verwendung von Fördermitteln entscheiden. In Zukunft werde es nicht mehr 35, sondern nur noch 29 ILE-Regionen geben. Die Sächsische Regierung habe am 9.10.2012 Lei­tlinien für den Ländlichen Raum verabschiedet.

Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll (Niederösterreich) gab eine rhetorisch beeindruckende, kenntnisreiche und präzise Darstellung der Dörfer in seiner Heimat. Die Folge von Überalterung, Abwanderung und Ausdünnung der Infrastruktur sei, dass die Gemeinden immer intensiver an finanzielle Grenzen stoßen. Die Gegenstrategie sei eine Dorferneuerun­gsbewegung. Es galt den einzelnen Bewohnern klarzumachen, dass sie selbst Hand anlegen müssen. In der Eigeninitiative sei der entscheidende Punkt zu suchen. Heute gäbe es etwa 800 Vereine mit 7000 Mitgliedern in 367 Gemeinden. (Niederösterreich, das größte Bundesland Österreichs, hat 1,6 Mio Einwohner und seit der letzten Gemeindegebiet­sreform im Jahre 1970 573 Städte und Gemeinden, ist also viel kleinteiliger strukturiert als Sachsen. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung Sachsens leben in Niederösterreich in einer um 1/3 größeren Zahl der Gemeinden. Hier gibt es dem Anschein noch die traditionelle Dorfstruktur.) Wesentlich, so Dr. Pröll, sei die Motivation. Hier wären zuerst die Bürgermeister gefordert. Wie wandelt man Abwanderungsre­gionen in Zuzugsgebiete um? Diese alle interessierende Frage behandelte Dr. Pröll am Beispiel Waldviertel. Die Schwerpunkte seien wohl überall die gleichen:

  1. Verkehrsinfras­truktur verbessern;
  2. Wohnen billiger machen;
  3. Nahversorgung verbessern.

Dr. Pröll fügte an: Wir haben die Wohnbauförderung erhöht und Großmärkte über 1000 qm nicht mehr genehmigt. Damit wurde die Statistik verbessert, aber noch nicht die zentrale Kompetenz der Menschen berührt. Die öffentliche Hand allein reiche nicht aus, um eine Trendumkehr zu erreichen. Das Notwendigste können die Menschen nur selbst einbringen. Deshalb habe man eine »soziale« Dorferneuerung eingeleitet. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Man müsse ein starkes, tragendes soziales Netz schaffen. Gleichzeitig sei die Sehnsucht der Stadtbevölkerung zu wecken. Schon heute wird die Lebensqualität des Städters zum großen Teil von der Qualität des Dorfes bestimmt.

Landesdirektor Dr. Michael Ebner (Südtirol) setzte mit österreichischem Charme fort, obwohl sein Heimatland in Italien liegt. Südtirol habe Finanzautonomie gegenüber dem italienischen Staat erreicht. Es gelte das Prinzip der Dezentralität. 90 Prozent der Steuern flössen nach Südtirol zurück. Wir können das nutzen was wir selbst erarbeitet haben. Es geht uns darum, dezentrale Infrastruktur zu schaffen. 2/3 der Übernachtungska­pazität von Südtirol befinden sich im ländlichen Raum. Wichtig sei auch ein Integriertes Marketing, eine Dachmarke »Südtirol« für landwirtschaftliche und industrielle Produkte. Die Regionalität sei wichtiger als ein »biologisches« Etikett. Die Nahversorgung habe Bedeutung. Die Grenze für die Marktgröße liege bei 600 qm, es gäbe keine Baugenehmigung für Märkte im ländlichen Grün. Zudem habe man Sonderprogramme zur Erhaltung von Tante-Emma-Läden, zugleich mit der Verpflichtung zur Offenhaltung auch außerhalb der Saison. Es gäbe auch Sonderprogramme für das Kleinhandwerk. Es gelte Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen dort, wo sie aufgewachsen sind und leben, für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt verdienen können. Der Busverkehr sei im Halbstundentakt möglich. Der Ländliche Raum werde oft als minderwertig empfunden, obwohl der Bauernstand einen hohen Wert hat. Doch der ländliche Raum leiste sehr viel für Städte. Die Städte dürfen nicht entscheiden, was wir zu tun haben. Subsidiarität muss eine nach unten und nach oben sein. Schwerpunkte der Funktionen seien: Erholung, wirklicher Naturschutz, Reinhaltung von Luft und Wasser. Länder und Kommunen müssen entscheiden können, wie es mit ihre Lebensqualität aussieht. Fazit: Nur wenn es Vielfalt in der Einheit gibt, ist Einheit in der Vielfalt möglich.

Ministerpräsident Tillich warf hier ein, dass in Sachsen mit der Beauftragung der Landkreise durch die Regierung, zur Bildung von ILE-Regionen, vor sieben Jahren, ein Teil der Bürgerinitiative schon umgesetzt sei. Hier sei das Ziel, dass jeder Sachse mit seinem Auto in 30 Minuten auf der nächsten Autobahn sein könne.

Es sind, so der Ministerpräsident, nicht die Dörfer, die der Regierung die großen Probleme bereiteten, sondern unsere Mittelstädte, die zwischen 5000 und 25.000 Einwoh­ner haben.

(Zwischenruf eines Bürgermeisters: »Das sind genau die Einheiten, die das ‹Leitbild› als Ziel vorgibt …«)

Nach einer Pause schloss sich eine Diskussionsrunde zum Thema »Der Ländliche Raum. Vielfalt erleben.« an. Neben Ministerpräsident Tillich, Landeshauptmann Dr. Pröll und Landesdirektor Dr. Ebner nahmen eine Milchkönigin aus Burkhardtsdorf und ein Eispulverproduzent aus der Lausitz daran teil. Gegen Ende der Diskussion wurden Fragen aus dem Publikum zugelassen.

Ein Dorfbürgermeister forderte, zur Tagesordnung zurückzukommen: Wie wollen wir den ländlichen Raum bei sinkender Finanzausstattung erhalten? Es nützt uns nichts, wenn Sachsen in Länderfinanzen an der Spitze stehe, es müsse auch was bei den Kommunen ankommen! Der Bürgermeister von Klingenthal fragte, warum in der Diskussionsrunde kein Dorfbürgermeister vertreten sei? Die Diskussion sei flach und gehe in die falsche Richtung. Andere Probleme seien wichtig. Zum Beispiel: Klingenthal habe keine Mittelschule mehr. Bei sinkenden Schlüsselzuwe­isungen können kleine Kommunen nicht mehr existieren.

Ministerpräsident Tillich wich einer Diskussion mit den Bürgermeistern aus und widersprach nur kurz:

  • Den Kommunen gehe es gut, wir müssen uns hier kein fehlendes Geld vorhalten,
  • die Mindesteinwoh­nerzahl von 5000 sei nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern freiwillig, es handle nur um ein »Leitbild«,
  • die Schlüsselzuweisung steigen, wenn die Kommune mehr Einwohnern hat.
  • Die Regierung habe sich für ILE-Regionalisierung entschieden, um die Zusammenarbeit der Kommunen anzuregen.

So ging diese Veranstaltung in der Stadthalle von Limbach-Oberfrohna zu Ende.

**Kommentar: **

In der österreichischen Presse konnte man am 5.2.2014 lesen, dass Landeshauptmann Dr. Pröll, gemeinsam mit anderen Landeshauptleuten, direkte Steuereinnahmen der Länder forderte, die den realen Bedarf abdecken. Ein ähnliches Verfahren gibt es in der Schweiz bereits, wo zudem Kommunen ihren Steuerbedarf selbst einnehmen.

Und Sachsen?

Im Sommer 2013 trat der Präsident der Bauhausakademie in Dessau mit der These hervor, dass der ländliche Raum zu teuer geworden sei, dass man ihn aufgeben und sich mit Investitionen nur noch auf die großen Städte konzentrieren so­lle.

Ein Widerspruch zu den Groß-Stadt-Thesen Oswalds erschien am 14.5.2013 in der Chemnitzer Freien Presse. Michael Beleites wies darauf hin, dass die Kostensteigerung hausgemacht sei. Die Eingemeindungspo­litik der letzten 20 Jahre brachte Überdehnungen der Städte und Ausdehnung des städtischen Verwaltungsstan­dards auf den ländlichen Raum mit sich und habe die Dörfer nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Die Zentralisierungen der letzten Jahre wurden stets mit Kosteneinsparung begründet. Aber Fragen nach den wirklichen Kosten der Kreisfusionen und Eingemeindungen wurden nie exakt beantwortet.

Die Gäste aus Österreich plädierten dagegen aus Erfahrung für Dezentralität, Selbstverwaltung, Selbsthilfe und Eigeninitiative. Eine Inventur tut Not in Sachsen. Es geht um die Frage, ob weiter mit altem Zentralisierungs- Denken auf den heutigen Strukturwandel reagiert wird oder ob man sich zu moderner Dezentralisierung durchringen kann. In Sachen Grundschulerhalt sprang man in Dresden schon einmal über den eigenen Schatten. Nur Mut!

ae (Niederfrohnaer Heimatblatt 02/2014)

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